Die wahrscheinlich letzte große Fahrt in diesem Jahr stand an. Mit dem Zug ging es um kurz nach fünf über Hannover nach Leer, wo wir mit 90 Minuten Verspätung eintrafen. Und eines sollte auch mal gesagt werden, die DB ist nicht immer Schuld.
Auf der Hinfahrt war es ein Autofahrer in Oldenburg, der es für eine grandios gute Idee hielt, eine geschlossene Bahnschranke zu missachten, was in der App zur Meldung „Notarzteinsatz“ führte. Wir waren gewappnet, wir hatten Kaffee und Brote. Auf der Rückfahrt verzögerte dann ein Polizeieinsatz die Fahrt nach Hause um 70 Minuten.
Von Leer fuhren wir auf dem kürzesten Weg in die Niederlande und an die Küste. Dies war erst einmal die Küste des Dollarts, einer großen Bucht der Emsmündung.
Den Campingplatz des ersten Reisetages in Termunterzijl hatten wir schon letztes Jahr einmal besucht. Da wir in Leer auf einen Einkauf verzichtet hatten und der nächste Supermarkt erst in Delfzijl lag, waren die kulinarischen Highlights des Tages eine chinesische Tütensuppe und Wasser.
Die nächsten Tage fuhren wir immer weiter entlang der Küste. In Lauwersoog, Harlingen, Juliasdorp und Zandvoort verbrachten wir die Nächte auf dortigen Campingplätzen.
Apropos Zandvoort, dort haben sie komplett den Verstand verloren (Dies ist die Aussage eines Niederländers). Ein dortiger Campingplatz wollte tatsächlich 63 € für die Nacht haben.
Wetter, bitte einmal mit allem
Wir begannen bei 30 °C und 20 °C nachts und endeten bei 13 °C mit einer Nachttemperatur von 6 °C. Dies war kein Problem, diese Temperaturen liegen uns mehr wie die Hitze, aber 70 km/h Sturm sind dann schon ein Problem. Zu diesem Zeitpunkt waren wir auf dem EV12 in den Dünen unterwegs. Eine traumhaft schöne Strecke, aber der Wind blies uns direkt in Gesicht. Sturm und Dünen, das tut irgendwann richtig weh. Auf Höhe von Katwjik sind wir dann ins Landesinnere abgebogen oder nennen wir es beim Namen, wir sind geflüchtet.
Planänderung mit Belohnung
Und so ging es über Leiden, Alphen, Gouda, Utrecht, Ammersfort, Apeldoorn, Deventer, Hengelo und Enschede nach Deutschland.
Und diese Planänderung war keine schlechte Alternative, denn wir durften de groene hart, das grüne Herz der Niederlande kennenlernen. Eine wunderschöne und absolut empfehlenswerte Region zwischen Leiden, Gouda, Rotterdam, Utrecht, Harlem und Amsterdam und wir sind mitten durch.
Und dann hatten wir unsere Belohnung, in einem Naturschutzgebiet vor Apeldoorn sahen wir unseren ersten Wolf. In etwa 100 m Entfernung kam er aus dem Wald, kreuzte unseren Weg und verschwand wieder im Gehölz. Eine Sache von Sekunden. Die Kamera in meiner Hand blieb unten, ich war einfach zu gebannt.
Deutschland und Abbruch
In Deutschland angekommen fuhren wir durch Ochtrup, Rheine, Ibbenbüren und Osnabrück und wollten eigentlich über Hannover nach Hause radeln. In Melle, nach etwa 120 km auf deutscher Verkehrsinfrastruktur, hatten wir aber einfach keine Lust mehr und stiegen bei einem Kilometerstand von 870 km in den RE 60 nach Hannover.
Wir mussten uns nach gut 750 km auf niederländischen Straßen erst einmal wieder an die deutsche Realität gewöhnen. Diese Realität sind kaputte Straßen und eine fehlende oder schlechte Radverkehrsinfrastrukur. Ein Beispiel gefällig? Wir sind den Radschnellweg F35 von Hengelo nach Enschede gefahren. Glatt wie ein Babypopo, sehr breit und zu 99 % hat der Radweg bei querenden Straßen Vorfahrt.
Und der Radschnellweg zwischen Ochtrup und Rheine? Glatt? Naja. Breit? Nein! Und jede noch so popelige Straße hat Vorfahrt und die Übergänge vom Radweg zur Straße und zurück verursachen jedes Mal einen Schlag. Was ist so schwer daran, Übergänge ohne Kanten zu bauen?
Das Gute, nach wenigen Tagen hat man sich wieder an den Mangel gewöhnt. An die Autofahrer, die ohne zuschauen, aus Seitenstraßen kommend den Radweg missachten oder an die vielen Radfahrer, die als Geisterfahrer auf Radwegen unterwegs sind. Beides Dinge, die wir in den Niederlanden nicht ein einziges Mal erleben mussten.
Aber das Allerbeste sind die Knotenpunkte, wir sind 10 Tage ohne Navi durch die Niederlande. Morgens die Punkte auf einen Zettel geschrieben und los ging es. Alles ist fast immer perfekt ausgeschildert.
Lief nicht alles rund
Und dann war da noch die Felge. Auf dieser Reise hatte ich das erste Mal mit technischen Problemen zu kämpfen. Das Schwinn war zwar schon über 500 Kilometer an der Elbe unterwegs, allerdings noch mit den Felgen meines anderen Rades. Am dritten Tag ist mir dann das erste Mal eine Speiche am Hinterrad gebrochen. Mit einem Speichenschlüssel konnte ich die entstandene Acht einigermaßen beseitigen. Der nächste Fahrradladen war im 30 Kilometer entfernten Harlingen. Es war Samstag, 16:00, als wir dort eintrafen.
Eigentlich wäre eine sofortige Reparatur nicht möglich gewesen, denn eine Stunde vor Feierabend und dem Wochenende mussten noch drei Räder repariert werden. Der Inhaber merkte aber, dass ich den Schaden alleine reparieren kann und lud mich in seine Werkstatt ein. Er fertigte mir noch eine Speiche an, weil die passende Länge nicht vorrätig war und Kaffee gab es auch noch. Nach gut 30 Minuten und 5 € waren wir wieder unterwegs. Wir waren sprachlos.
Leider brachen im Verlauf unserer Reise noch zwei weitere Speichen, eine konnte ich in den Dünen ersetzen, die andere Speiche lag wieder auf der Antriebsseite und das Werkzeug zum Entfernen eines Zahnkranzes hatte ich nicht dabei, aber wenigstens den Speichenschlüssel.
Die letzten 300 km hatte das Hinterrad einen ziemlichen Höhenschlag und machte bei jeder Umdrehung Geräusche, aber wir rollten.
Also, die Originalfelgen des Schwinns sind nicht für hohe Lasten geeignet.
Abgetaucht
Kleiner Funfact am Rande. Meinen sechzigsten Geburtstag habe ich wie gewünscht auf dem Rad, am Meer und nur mit Claudia verbracht. Wir sind komplett eskaliert, denn wir sind bei strömenden Regen noch schnell vom Campingplatz zu einem McDonalds in der Nähe und dort haben uns das Essen an den Tisch bringen lassen.
Man wächst, immer noch
Die Reise hat viel Spaß gemacht, auch wenn das Wetter, wie schon das ganze Jahr über, nicht immer optimal war. Auf der anderen Seite haben wir dieses Jahr bei -2 °C im Zelt geschlafen, eine Sturmnacht erlebt und einige Wassertests mit sehr viel Regen gemacht. Im Zelt und Schlafsack war es immer trocken und warm. Kurzum, wir haben dieses Jahr unser Equipment einfach mal extremer getestet. Es funktioniert immer noch alles wunderbar.
Mit der Zeit verändert sich die Einstellung zu Regen und Nässe, es wird einfach weniger unangenehm. Man gewöhnt sich dran, beziehungsweise, man härtet ab. Und wie viele Menschen können von sich behauptet bei 6 °C in kurzen Hosen unterwegs gewesen zu sein. Wir hatten nicht einmal einen Pullover dabei, wir hatten nur Windjacken und die haben am Ende gereicht. Wir können mittlerweile auch entspannt weniger gutes Wetter.